Peter Petersen 1925


"Das Schulleben von Grund auf ändern!"

Der Reformpädagoge Peter Petersen (1884-1952)


Nach dem Urteil heutiger Erziehungswissenschaftler kann Peter Petersen als einer der bedeutendsten Pädagogen Deutschlands mit internationaler Ausstrahlungskraft im 20. Jahrhundert gelten. Besondere Anerkenung hat er als Schulpädagoge erlangt. Man rechnet sein Wirken zur Epoche der Reformpädagogik, die ihre Blütezeit in den Jahrzehnten etwa von 1890 bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte. In dieser Zeit entwickelten Pädagogen nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern Europas und darüber hinaus auch auf anderen Kontinenten besonders zahlreiche und vielfältige neue Konzepte für die Gestaltung von Erziehung und Bildung sowie Schule und Unterricht und versuchten, sie in die Praxis umzusetzen. Gemeinsames Anliegen dieser Reformpädagogen war - trotz aller Unterschiedlichkeit der von ihnen entwickelten Konzepte -, dass sie angesichts industriegesellschaftlicher Entwicklungen nach Formen humaner Erziehung und Bildung suchten, welche das Kind, den heranwachsenden jungen Menschen, ja den Menschen überhaupt in seinem Eigenrecht ernst nahmen und ihm eine Erziehung und Bildung ermöglichen sollten, die alle Dimensionen seines Menschseins berücksichtigte. Ideen und Konzepte dieser Reformpädagogik werden heute verstärkt wieder aufgegriffen, kritisch geprüft und für die heutigen pädagogischen Bemühungen auf dem Erkenntnisstand unserer Zeit nutzbar gemacht.

Als besonders anregend gilt die Schulkonzeption Peter Petersens, in der unterschiedliche Strömungen der Reformpädagogik zu einer Synthese eigenständiger Prägung verarbeitet sind. International bekannt geworden ist dieses Konzept unter der Bezeichnung »Jena-Plan« bereits seit 1927, als es bei einem der großen Kongresse führender Reformpädagogen aus aller Welt von Petersen, damals Pädagogikprofessor in Jena, vorgestellt wurde. Der schultheoretische Grundansatz der Reformpädagogik, nach dem Schule unter die Leitidee der Erziehung zu stellen und zu einem Lebensraum für junge Menschen zu entwickeln ist, hat in Petersens Jenaplan-Schule eine ausgewogene und anspruchsvolle Realisierung gefunden. Wie nur wenigen Erziehungswissenschaftlern ist es Petersen gelungen, seine Schulkonzeption, die er als ein offenes System verstand, einerseits durch umfassende allgemeinpädagogische Überlegungen zu begründen, andererseits bis in Einzelheiten der Schul- und Unterrichtspraxis hinein zu konkretisieren und zu realisieren sowie im Rahmen der von ihm entwickelten "Pädagogischen Tatsachenforschung" auch empirisch zu überprüfen und weiterzuentwickeln.

Der Bauernsohn Peter Petersen wurde 1884 in Großenwiehe bei Flensburg als ältestes Kind von neun Geschwistern geboren. Das Leben auf dem elterlichen Hof in der Großfamilie, bei dem die wechselseitige Hilfe und Mitarbeit aller selbstverständlich war, hat ihn stark geprägt. Nach dem Abitur am Gymnasium in Flensburg im Jahre 1904 entschied sich der begabte junge Mann für ein breit angelegtes Studium mit dem Ziel des Lehramtes an höheren Schulen. An der Universität Jena promovierte er 1908. Mit dem Staatsexamen für das Lehramt an höheren Schulen schloss er 1909 sein Studium endgültig ab.

1911 wurde der junge Pädagoge fest angestellter "Oberlehrer" an einem traditionellen Gymnasium in Hamburg. Schon früh zeigte er Interesse an der Schulreform und arbeitete in reformpädagogischen Vereinigungen mit.

Daneben legte der Hamburger Gymnasiallehrer zahlreiche Veröffentlichungen zu philosophischen, psychologischen, theologischen und pädagogischen Themen vor. Er habilitierte sich 1920 mit einer Arbeit zur Geschichte der aristotelischen Philosophie an der Universität Hamburg.

Bereits kurz vorher hatte Petersen die Leitung der reformpädagogisch orientierten »Lichtwark-Schule« übernommen und begonnen, dort einige seiner eigenen Reformvorstellungen zu realisieren. Eine entscheidende Erkenntnis Petersens war, dass eine Reform der staatlichen Schule nur dann Aussichten auf Erfolg hatte, wenn man nicht Einzelheiten veränderte, sondern die Schule insgesamt auf eine neue Grundlage stellte.

Im Jahr 1923 wurde der Hamburger Gymnasiallehrer und Privatdozent als Nachfolger des bekannten Pädagogen Wilhelm Rein auf den Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft an der Universität Jena berufen und übernahm zugleich die Leitung der zum Pädagogischen Seminar gehörenden Universitätsschule, deren Umwandlung im Sinne seiner Reformkonzeption er unverzüglich einleitete. Anregungen dafür bezog er auch aus der internationalen Reformbewegung. Auf diesen weltweiten Gedankenaustausch hat Petersen stets großen Wert gelegt, selbst zur Zeit des Nationalsozialismus. Immer wieder war er zu Vortragsreisen oder länger dauernden Beratungstätigkeiten in verschiedenen Ländern unterwegs. Petersen setzte sich in seinem pädagogischen Denken auch intensiv mit der philosophischen und pädagogischen Tradition auseinander.

Während der Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland konnte er seine Arbeit in Jena mit Einschränkungen fortsetzen. Trotz einiger äußerer Anpassungen gab er die ethische Substanz seines pädagogischen Denkens, die im krassen Gegensatz zum Menschen verachtenden Rassismus des nationalsozialistischen Regimes stand, nicht auf. Petersens Hoffnungen, sein Werk nach Ende des Zweiten Weltkrieges auch unter dem kommunistischen Regime weiterführen zu können, erfüllten sich nicht.

Schon nach kurzer Zeit kam es zu Behinderungen seiner Arbeit. 1948 wurde er als Dekan abgesetzt; 1949 entzog man ihm die Prüfungserlaubnis für Staatsexamina; 1950 wurde die Universitätsschule in Jena gegen den Protest der Eltern geschlossen. Das Jenaer Lebenswerk Petersens war damit vernichtet. Seine Versuche, im Westen Fuß zu fassen und seine Arbeit fortzusetzen, scheiterten. Enttäuscht und erschöpft starb Petersen 1952 in Jena.

Sein reformpädagogisches Konzept fand jedoch in den westlichen Besatzungszonen und der Bundesrepublik Deutschland vor allem in der Schulpraxis viel Beachtung, ohne allerdings durchgreifend und auf Dauer zu einer Neugestaltung des westdeutschen Schulsystems führen zu können. Ab Mitte der 1960er Jahre verdrängten in Deutschland neue sozialwissenschaftlich orientierte Reformansätze das Interesse an der Pädagogik Petersens wie an der älteren Reformpädagogik überhaupt. In den Niederlanden hingegen entstand eine starke Jenaplan-Bewegung. Heute gibt es dort über 200 Jenaplan-Schulen und eigene Ausbildungsstätten für Lehrerinnen und Lehrer dieser Schulen. In Deutschland hat sich seit der Rückbesinnung auf die Schulkonzepte der Reformpädagogik in den 1980er Jahren ebenfalls eine neu erstarkte Jenaplan-Bewegung entwickelt, die versucht, die Pädagogik des Jenaplans für die Gestaltung heutiger Schulwirklichkeit fruchtbar zu machen. Daran interessierte Pädagogen haben sich in der "Gesellschaft für Jenaplan-Pädagogik in Deutschland" zusammengeschlossen.

Prof. Dr. Harald Ludwig
Institut für Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik
Universität Münster

Literatur:
Petersen, Peter: Der Kleine Jena-Plan, 61. Aufl., Weinheim 1996
Petersen, Peter: Führungslehre des Unterrichts, Weinheim 1984
Dietrich, Theo: Die Pädagogik Peter Petersens, 6. verb. u. erw. Aufl., Bad Heilbrunn 1995
Hansen-Schaberg, Inge ... (Hrsg.): Basiswissen Pädagogik / Reformpädagogische Schulkonzepte, Bd. 3.: Jenaplan-Pädagogik, Baltmannsweiler 2002.
Koerrenz, Ralf (Hrsg.): Jena-Plan - über die Schulpädagogik hinaus, Weinheim 2001.
Kluge, Barbara: Peter Petersen - Lebenslauf und Lebensgeschichte, Heinsberg 1992
Retter, Hein (Hrsg.): Peter Petersen und der Jenaplan, Weinheim 1996.

Literaturdokumentation Peter Petersen und der Jenaplan